Donnerstag, 6. September 2012
Steht einfach da, aufrecht und gerade...
Dieser Text stand in meinem Relibuch und ich find ihn toll:

Eine S-Bahn.Voll besetzt mit Menschen.Abendlicher Berufsverkehr.Im Abteil ein junger rechtsradikaler und ihm gegenüber ein Ausländer.Geschorenes Haar,halb geschlossene Lider, rosa Kaugummiblasen zerplatzend, Military-Parka,Stiefel. Das auf der einen Seite. Auf der anderen Seite dunkles Haar,Blick hinaus durch die Scheibe.Ringsrum gestresste Apathi, Zeitunglesen, Vorsichhinstarren. Dann eine Änderung: Der geschorene zieht die Backen zusammen,spotz geziehlt den Kaugummi zwischen die Füße des anderen. Steckt sich eine Zigarrette an, bläst dem anderen ungehindert ein paar Wolken Rauch ins Gesicht, nimmt mit der Lingen den glühenen Stengel aus dem Mund und drückt ihn auf den Handrücken seines Gegenübers aus. Kein Schrei, kein Schlag als Antwort. In Schrecken aufgerissene Augen, strecken des Rückens wie in spastischer Lähmung. Sonst nichts. Eine Sekunde,zwei,drei,vier fünf Sekunden lang. 5 Sekunden sind wie eine Ewigkeit. Teilnahmslosigkeit,Erstarrung,nich fassen wollen ringsherum. Dann die entscheidende Bewegung: Im Abteil gegenüber erhebt sich ein Mann, zieht aus seiner Mantltasche einen gelben Stern, heftet ihn an seine Brust. Steht einfach da, aufrecht und gerade, mit dem gelben Stern auf seinem Herzen,aufrecht vor dem Rechtsradikalen. Greift noch mals in seinen Mantel, hält einen Packen gelber Sterne in seiner Hand. Ein anderer neben ihm steht auf,holt einen gelben Stern von dem Packen und heftet ihn sich ans revers.Daneben eine Frau. Und gegenüber auch eine. Jetzt stehen 4. Aufrecht und mit dem gelben Stern an der Brust. Leben kommt in den Wagen, Aufmerksamkeit, Kraft. Noch einer steht auf, Männer, Frauen, Kinder. Sie stehen da wie eine Wand, wie eine immer dickere Mauer. Der Rechtsradikale wird kleiner und kleiner. Schrumpft wie ein Luftballon dem die Luft ausgeht. Sackt zusammen trotz zur Schau gestellter Unbewegtheit, spürt das Kraftfeld mehr, als dass er die Traute hat, es anzusehen. Die Bremsen der S-Bahn ziehen an. Hohl und geduckt bewegt sich der Rechtsradikale zum Ausgang. Stop,Tür auf,Fort. Der Spuk ist vorrüber. Die Fahrt geht weiter. Nicht alle haben gestanden. Aber jene, die sitzen geblieben sin, haben etwas gemerkt. Etwas wird sich bewegen in ihnen. Die stehenden setzen sich wieder. Keiner gibt den Stern zurück. Jeder behält ihn, steckt ihn ein. Weiß, er wird ihn wiederbrauchen. Nie mehr als Schmach, nie mehr als Schande. Umgekehrt: als Zeichen der Würde, zum Schutz der Menschlichkeit.
(Renate Uhl)

LG Melis ;)